Ein Anschlag auf die
Bewohner der Welt

Erklärung zum Terroranschlag in den USA

Am 11. September griffen organisierte Selbstmordattentäter weltbekannte Symbole der US-amerikanischen militärischen und ökonomischen Macht an, die von vielen Menschen in den armen Teilen der Welt gehasst wird. Aber die Terroristen griffen nicht nur Symbole an. Sie töteten Tausende von Menschen, die unsere Verwandten, unsere Kollegen, unsere Freunde, unsere Brüder und Schwestern sind oder sein könnten. Sie zerstörten Teile einer der globalisiertesten Städte der Welt, bewohnt von Menschen mit unterschiedlichster Herkunft und Religion, aus allen Berufen und sozialen Schichten, mit vielfältigen Idealen und Ängsten.

Dies war ein Anschlag auf uns, Bewohnerinnen und Bewohner einer verstädterten Welt und gegen unsere Vision einer zivilen Gesellschaft des Dialogs und der Solidarität.

Der Terroranschlag hat gezeigt, dass wir nirgendwo auf dieser Erde sicher sind - vor allem nicht in den großen Städten - so lange die Konflikte in einigen Teilen der Welt es möglich machen, dass Menschen eine Mentalität lebender Bomben entwickeln. Keine militärische Aufrüstung, keine Technologie und kein Polizei-System wird uns das Vertrauen in die Sicherheit zurückgeben.

Wir - Mitwirkende von Bewohnerbewegungen und Netzwerken - glauben, dass es unsere Aufgabe ist, in dieser Situation allen Formen des Hasses entgegenzutreten. Der Ruf nach Vergeltung und Krieg kann den schweren Verlust an Leben und Sicherheit nicht aufwiegen.

Wir beobachten mit größter Sorge, dass eine Propaganda des Krieges und der militärischen Vergeltung die notwendige Diskussion der politischen Konsequenzen und Perspektiven überdeckt. Wir müssen befürchten, dass eine Welle militärischen Denkens und Handelns viele der Chancen für globale Dialoge zerstören wird, die uns helfen könnten, eine friedliche Welt für alle ihre BewohnerInnen zu schaffen.

Es gibt bislang keine Beweise dafür, wer für diese Anschläge verantwortlich ist. Es könnte aber durchaus zum Kalkül der Terroristen gehören, gewaltsame Gegenreaktionen zu provozieren und bestehende Konflikte und Spannungen in und mit islamischen Ländern und Bevölkerungsgruppen zu vertiefen. Mit ihrem Gerede von einem "Krieg" und einem "Kreuzzug" scheint die Bush-Regierung direkt in diese Falle zu tappen.

Wir bezweifeln, dass es gelingen kann, die Organisatoren des Anschlags innerhalb kurzer Zeit eindeutig zu identifizieren und zu ergreifen. Sowohl Vergeltungsschläge als auch territoriale militärische Interventionen werden Unschuldige töten, Millionen in die Flucht treiben und die Situation in vielen Regionen Asiens und des Nahen Ostens destabilisieren. Die Gefahr ist groß, dass den Hauptpreis für derartige Aktionen wieder die Menschen in den Flüchtlingslagern und Slums der asiatischen und arabischen Städte und den zerstörten Gebieten Palästinas, Afghanistans, Tschetscheniens und des Irak zu tragen haben.

Tief besorgt sind wir auch über die Konsequenzen der Kriegs-Propaganda innerhalb Deutschlands und vieler anderer Länder. Weltweit mehren sich die Berichte über anti-islamische und rassistische Stimmungen, Pöbeleien und Übergriffe. Zugleich werden Verschärfungen des Ausländerrechts angekündigt. Gerade jetzt brauchen wir klare Bekenntnisse für eine offene und solidarische Gesellschaft, eine Beendigung der Abschottung gegen Flüchtlinge und schnelle Fortschritte in der Integrations- und Einwanderungspolitik.

Auch wenn einzelne Maßnahmen die Risiken für die Sicherheit vielleicht verringern können, müssen die Bürger- und Freiheitsrechte unantastbar bleiben. Überprüft werden müssen vor allem die Risiken von Großtechnologien wie der Atomkraft. Wir wundern uns, dass die Institutionen der Vereinten Nationen in dieser Situation kaum handeln und auch nicht zum Handeln aufgerufen werden.

Dieser Anschlag hat gezeigt, dass die USA keine Insel der Sicherheit sind. Wir denken, dass die USA und ihre BewohnerInnen eine tatsächliche internationale Partnerschaft benötigen und nicht eine von ihnen dirigierte Weltordnung. Die USA sollten ihre Rolle innerhalb der Vereinten Nationen überdenken, denn die Vereinten Nationen sind die einzige autorisierte Macht, die Frieden, Freiheit und eine gerechte Entwicklung in allen Teilen der Welt befördern können.

Zu einer Strategie, welche die Wurzeln des Terrorismus beseitigt, gehört ein umfassender Plan für wirtschaftliche und soziale Hilfen in den zerstörten und verarmten Ländern und vor allem eine schnelle Verbesserung der Lebensbedingungen in den Slums und Flüchtlingslagern. In diesen Tagen erleben wir eine Stimmung der Einflusslosigkeit und Ohmacht der Menschen gegenüber den internationalen Entwicklungen, aber auch immer mehr Stimmen der Besorgnis, der Analyse, der Kritik und des beginnenden internationalen Austausches. Auch wir dürfen in diesem Zusammenhang nicht schweigen.

 


Initiative Habitat in NRW

MieterInnenverein Witten

HIC Europa

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