Istanbul+5 Bericht 

Vorläufige deutsche Arbeitsfassung

2.4 Institutionelle Entwicklungen


2.4. Institutionelle Entwicklungen

Die Befriedigung der Wohnbedürfnisse stützte sich seit der Nachkriegszeit in Westdeutschland vor allem auf die folgenden zentralen Institutionen:

In den letzten Jahrzehnten wurden wesentliche Elemente dieser Struktur fortschreitend aufgegeben, was zu einer tiefgreifenden Änderung der wohnungswirtschaftlichen Strukturen geführt hat.

Nach einem Zwischenhoch in Folge der Wohnungskrise 1989 hat die Wohnungspolitik seit 1996 ganz generell einen massiven Bedeutungsverlust sowohl in der öffentlichen Wahrnehmung als auch in der politischen Praxis der Regierungen erfahren.

Mittelschichts- und Eigentumsorientierung

Sieht man einmal von den - zahlenmäßig gewachsenen - höheren Einkommensgruppen ab (die sich unter allen Bedingungen sehr gut versorgen können und dies auch mit wachsenden Ansprüchen tun), so haben Markt und Staat in den letzten Jahren vor allem die Mittelschichten gefördert, während die besonderen Förderungen für die unteren Mittelschichten und Menschen mit niedrigen Einkommen seit 1996 quantitativ deutlich nachgelassen haben.

Es wird geschätzt, dass die Bildung von Wohneigentum in Deutschland jedes Jahr mit 37 Mrd. Mark gefördert wird. Die Direktförderung des Sozialen Wohnungsbaus beträgt nur einen Bruchteil.

Die Privilegierung des selbstgenutzten Privateigentums hat starke negative Folgen für die soziale und nachhaltige Entwicklung. Die öffentliche Unterstützung für die Käufer von bestehenden Mietwohnungen ist einer der Hauptgründe für die Verkaufswellen bei profit-orientierten Wohnungsunternehmen. Die öffentliche Förderung des Eigenheimbaus führt zugleich zur Subventionierung der Zersiedlung und der Stadtrandbebauung. Die stattlichen Subventionen für 1- und 2-Familien-Häuser führen zu einem erheblich höheren Bodenverbrauch pro Wohnung als im Geschosswohnungsbau. Ihr Energiebedarf ist in der Regel höher als beim zeitgemäßen Geschosswohnungsbau. Sie erfordern zusätzliche Investitionen in Infrastrukturen wie Verkehr oder Wasserentsorgung und führen meistens zu einem erhöhten Aufkommen des motorisierten Individualverkehrs. Die neuen Eigenheim-Gebiete bilden häufig Mittelschichts-Ghettos und die Abwanderung in diese Gebiete schwächt die ökonomischen Kapazitäten der bestehenden Städte, die zugleich mit den Kosten für die städtischen Infrastrukturen und Transferleistungen an die Armutsbevölkerung mehr und mehr überfordert sind.    

 Streit um das Mietrecht

Seit den 60er Jahren hat das Mietrecht einen im Vergleich zu anderen Ländern relativ strengen rechtlichen Rahmen gesetzt. Heute schützt ist die Mieter gegen unberechtigte Kündigungen, definiert Ansprüche an die Leistungen des Vermieters und regelt auch die Bedingungen für Mieterhöhungen bei bestehenden Mietverträgen.

Während der letzten Jahre haben die Regierungen versucht, das sehr komplexe Mietrecht zu reformieren mit dem rhetorischen Ziel einer nutzerfreundlicheren Vereinfachung. In der Realität wurde jedoch von den Interessengruppen der Eigentümer und ihrer politischen Lobby versucht, das Mietrecht in seiner Schutzfunktion zu schwächen. Die konservativ-liberale Regierung scheiterte mit ihrem Reformprojekt an dem Widerstand der Ländermehrheit. Nach der Wahl 1998 startete die neue rot-grüne Regierung erneut einen Beratungsprozess, mit dem klaren Versprechen, keine Verschlechterungen des Mieterschutzes zuzulassen. Gleichwohl schien es Ende 2000 als werde auch dieses Gesetzesvorhaben zu empfindlichen Verschlechterungen des Mietrechts führen. Durch massive Proteste der Mieterbewegung konnte dies im letzten Augenblick abgewandt werden. Das reformierte Mietrecht enthält einzelne Verbesserungen für die Mieter, die Verschlechterungen halten sich in Grenzen. Von einer Vereinfachung oder gar Verbesserung bislang umstrittener Punkte kann aber kaum die Rede sein.     

Generell gilt der Mieterschutz in Deutschland als einer der stärksten in Europa. Die größte Unsicherheit besteht in dem Recht des Eigentümers, einer Mietpartei zu kündigen, wenn er selbst in der Wohnung wohnen will. Besonders in attraktiven Wohngegenden wurden viele Miet- in Eigentumswohnungen umgewandelt, mit der Folge einer Verdrängung einkommensschwächerer Haushalte.

Wohnraumförderung durch den Bund 

Seit dem Ende des 2. Weltkrieges war das Subventions- und Regulations-System des Sozialen Wohnungsbaus einer der Hauptfaktoren für die Verbesserung der Wohnsituation der Massen. Das deutsche System des Sozialen Wohnungsbaus basiert auf der Vergabe günstiger Kredite für rechtlich definierte Wohnungsbau-Formen. Während einer festegelegten Zeitspanne verpflichtet das Gesetz den mit den Bausubventionen unterstützten Eigentümer, die Wohnungen lediglich an Haushalte mit einem geringeren Einkommen zu vergeben. Teilweise können die Kommunalverwaltungen außerdem bestimmen, dass die Wohnungen vorrangig an Leute mit einem besonderen sozialen Bedarf vergeben werden. Während der Zeitraums der sozialen Bindung ist der Eigentümer verpflichtet, lediglich Mieten zu kalkulieren und zu verlangen, die sich innerhalb rechtliche festgelegter Kostendeckungsgrenzen bewegen. Nach Rückzahlung der Kredite ist der Eigentümer frei bei seiner Mietkalkulation und Belegungsentscheidung.      

Heute ist dieser zeitlich begrenzte Charakter der Sozialbindung eines der Hauptprobleme der Wohnraumversorgung in Deutschland. Sowohl die absolute Zahl als ach der Anteil der Sozialwohnungen am Wohnungsbestand sinkt rapide. In Nord-Rhein-Westfalen zum Beispiel existierten 1980 etwa 2 Millionen Sozialwohnungen, heute gibt es nur noch etwas mehr als 1 Million. Der soziale Bedarf ist signifikant höher. Die Kommunalverwaltungen besitzen immer weniger Rechte um Wohnungen mit Haushalten zu belegen, die einen dringenden Bedarf haben.    

Mit der Begründung, der Soziale Wohnungsbau sei nicht mehr zielgerecht, zu kostspielig und entspreche nicht mehr dem sozialen Bedarf, wurde seit über einem Jahrzehnt eine grundlegende Änderung politisch diskutiert. Nachdem die konservativ-liberale Regierung mit ihren Vorschlägen zu Abschaffung der Kostenmiete gescheitert war, hat die rot-grüne Regierung 1.1.2002 eine Neufassung des Wohnraumrechtes durchsetzen können. Die Zielsetzung ist nicht mehr die Förderung des Wohnungsbaus für "breitet Schichten der Bevölkerung" sondern die Konzentration auf Bevölkerungsgruppen, die sich aus eigener Kraft nicht am Wohnungsmarkt versorgen können. Das neue Gesetz behält den - zuvor heftig umstrittenen - Grundsatz der Objektförderung bei, führt aber zu einer umfassenden Flexibilisierung der Förderbedingungen. Ihre Ausgestaltung ist noch mehr als schon zuvor Sache der Länder. Es existieren keine starren Mietobergrenzen mehr. Neu sind die Möglichkeiten der Förderung im Wohnungsbestand, dessen Nutzung und Verbesserung als ein entscheidendes Handlungsfeld sowohl aus Kostengründen als auch aufgrund sozialer und ökologischer Mängel gesehen wird. 

Ein flexiblerer Rahmen des Sozialen Wohnungsbaus war in der Tat erforderlich, um auf die sehr unterschiedlichen Situationen in den Regionen, die spezifischen sozialen Bedarfe und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Eigentümer reagieren zu können. Eine stärkere Konzentration auf den existierenden Wohnungsbestand eröffnet Möglichkeiten, die Wohnsituation einkommensarmer Haushalte mit geringerem Ressourceneinsatz und geringeren Gefahren einer sozialen Segregation zu verbessern. Auch war es erforderlich, die begrenzten öffentlichen Mittel stärker auf vorrangige Zielgruppen zu konzentrieren. Diese Fortschritte wurden allerdings durch starke Kürzungen bei den Bundesmitteln für den Sozialen Wohnungsbau kompensiert. Im Gesetz sind lediglich 340 Millionen € Bundesmittel jährlich vorgesehen - so wenig wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik. Für das Haushaltsjahr 2002 sind allerdings wesentlich höhere Mittel vorgesehen.

Vom Gemeinnutz zum Kommerz 

Über einen langen Zeitraum waren Gemeinnützige Wohnungsunternehmen mit beschränkten Gewinnen Hauptträger des Sozialen Wohnungsbaus. Diese Unternehmen befanden sich häufig im Eigentum von Industrieunternehmen, bis in die 80er Jahre auch von Gewerkschaften, sie waren kommunale oder landes-/bundeseigene Unternehmen oder Genossenschaften.  Bis in die neunziger Jahre hatte das Wohnungsgemeinnützigkeits-Gesetz diese Unternehmen steuerlich begünstigt und im Gegenzug unter anderem zu einer kostenorientierten Mitkalkulation auch der nicht sozial gebundenen Bestände verpflichtet. Seit der Abschaffung des Gesetzes orientieren sich viele dieser Unternehmen nun an höheren Profiten.  

Bei den industrieverbundenen Unternehmen ist zudem die frühere Orientierung an der Versorgung der Beschäftigten weitgehend verschwunden und die - nach zahlreichen Eigentumsübergängen zum Teil stark konzentrierten - Wohnungsunternehmen versuchen noch aus ihrem Wohnungs- und Grundstücksbestand höhere Gewinne zu erwirtschaften. Ihr Hauptstrategie dabei ist der Verkauf von Siedlungsbereichen an spekulative Weiterverwerter oder die Umwandlung in Eigentumswohnungen. Die Eigentumswohnungen werden in der Regel zunächst den Mietern zum Kauf angeboten, da diese sich teilweise dazu bewegen lassen, die Wohnungen aus Furcht vor Verdrängungen auch bei hohen Preisen oder einer ansonsten kaum vorhandener Marktnachfrage zu erwerben. Die betroffenen Mieter reagieren zum Teil mit heftigen Protesten auf diese "Privatisierung", aber die politischen Einflussmöglichkeiten auf die Entscheidungen der Konzerne sind gering. Die Gewinn-Orientierung der Anteilseigner und die wirtschaftliche Konzentration und beginnende Globalisierung dieses Sektors stellen ernsthafte Gefahren für die Zukunft der preisgünstigen Mietwohnungssegmente dar. 

Auch staatliche und kommunale Unternehmen werden mehr und mehr von einer Profit-Orientierung erfasst oder geraten aufgrund geringerer Zuschüsse und schwieriger Marktentwicklungen in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Auch diese öffentlich verbunden Unternehmen verkaufen Wohnungen oder konzentrieren ihre Geschäfte auf den Bau von Eigentums-Objekten. Die größte Gefahr stellt allerdings der Komplettverkauf dieser Unternehmen dar. Im Jahr 200 Verkaufte der Bund seine Eisenbahnerwohnungen. Viele Städte haben ihre kommunalen Wohnungsunternehmen oder große Anteile der Unternehmen an private Unternehmen veräußert oder planen dergleichen. Damit geben sie dei einzige Möglichkeit direkter Interventionen in den Wohnungsbau und den Zugang zum Wohnraum auf und verlieren ihren Einfluss auf die lokalen Märkte. In einigen Städten war und ist die öffentliche Mobilisierung gegen derartige Verkaufspläne erfolgreich, eine Entwicklung, die vielleicht Chancen für eine Wiederbelebung öffentlicher Wohnungspolitik auf der lokalen Ebene eröffnet.  

Die meisten Wohnungsbaugenossenschaften in West-Deutschland wurden vor dem 2. Weltkrieg gegründet. Heute spielen sie häufig kaum eine aktive Rolle auf dem Wohnungsmarkt und beschränken sich auf die Verwaltung ihres existierenden Bestandes. Zwar könnet die Übernahme von Wohnungen durch neue Mieter-Genossenschaften eine gute Alternative zu Umwandlung und Einzelverkauf sein, aber während der letzten Jahre wurden nur sehr wenige neue Genossenschaften gegründet. Ein wesentlicher Grund ist die schlechte staatliche Förderung von Mietergenossenschaften im Vergleich zum Einzeleigentum. Außerdem erwarten die verkaufenden Gesellschaften oft zu hohe Erlöse und die Neugründung einer Genossenschaft setzt eine sehr aktive Mieterschaft voraus.   

Hilfen für Wohnungsnotbetroffene

Trotz mangelnder Gesetzesänderungen auf Bundesebene wurden in den letzten Jahren vielversprechende lokale Strategien und Praktiken zur Beseitigung oder Vorsorge von Obdachlosigkeit entwickelt.

Zu den in diesem Bereich existierenden Programmen oder Initiativen gehören: 

(1) Die Verbesserung der Koordination der kommunalen Hilfsdienste, besonders durch die Einrichtung kommunaler Zentralstellen; 

(2) Ansätze zur "Verhinderung von Obdachlosigkeit" mit finanzieller Unterstützung und Beratung durch Räumung bedrohter Haushalte; (

3) die erleichterte Unterbringung durch ein "geschütztes Marktsegment" der Wohnungsgesellschaften zugunsten Obdachloser; 

(4) mobile Gesundheitsdienste, die Leute in Not erreichen können (sowie deren Versorgung mit Kleidung und preiswertem Essen); 

(5) die Diversifizierung und Ausrichtung der Hilfsstrukturen auf die Bedürfnisse besonderer Gruppen, wie etwa der wohnungslosen Frauen oder Kinder; 

(6) Selbsthilfe und Bewusstseinsbildung durch von Obdachlosen verkaufte Straßenmagazine; 

(7) die Umwandlung von Notunterkünften in normale Mietwohnungen; 

(8) die Unterstützung von baulicher Selbsthilfe. Es gibt somit eine Vielzahl guter Ansätze und einen breiten Konsens unter Fachleuten über angemessene Strategien.

Die Umsetzung dieser Strategien ist jedoch keineswegs für alle Städte verpflichtend. Hinderlich ist vor allem, dass im Bundessozialhilfegesetz kein gesetzlicher Mindeststandard für Hilfe und Unterbringung festgelegt ist. Die Berichte lokaler Initiativen zeigen starke Mängel bei der Umsetzung der allen Kommunen empfohlenen Politik zur "Verhinderung von Obdachlosigkeit". Aufgrund der Finanzkrise vieler Kommunen wurden in den letzten Jahren sowohl Hilfsleistungen für Obdachlose und Wohnungsnotfälle gekürzt als auch die Unterstützung für in diesem Bereich tätige private Organisationen oder selbstorganisierte Initiativen.

Finanzielle Unterstützungen

Wohngeld

2001 wurde von der Bundesregierung eine lange geforderte Erhöhung des Wohngeldes umgesetzt, die zu einer Anhebung der Bezuschussung der Mieten einkommensschwacher Haushalte führt. Gleichwohl ist das Wohngeld immer noch unzureichend, um Menschen mit sehr geringen Einkommen Zugang zu Wohnraum zu verschaffen. Das Wohngeld ist außerdem eine dauerhaft sehr kostspielige Maßnahme um die Wohnkostenbelastung zu begrenzen. Erforderlich ist vielmehr weiterhin ein preisreguliertes Segment.

In diesem Zusammenhang ist zu begrüßen, dass die Reform des Wohnungsbaurechtes an der Objektförderung festhält, auch wenn das Kostenmietprinzip für Neubau fällt. Zusätzlich müsste ein gemeinnütziges Segment neu geschaffen werden.

In Phasen und Regionen mit deutlichem Mietenanstieg ist die Kappungsgrenze mit 20 % zu hoch und es fehlen Regelungen für die zulässige Neuvertragsmiete. Das Wirtschaftsstrafgesetz ist faktisch kaum noch anwendbar. Hier ist ein wirksamer Ersatz erforderlich.

Sozialhilfe und Miete

Haushalte mit sehr niedrigem oder keinem Einkommen erhalten in Deutschland Sozialleistungen, die überwiegend von den Kommunen getragen werden. In diesen Sozialleistungen sind neben der Hilfe zu Lebensunterhalt auch die Mietkosten enthalten, die zum Teil über das Wohngeld finanziert werden. Wegen hoher Kostenbelastungen und der Finanzkrise der Kommunen wird die Gewährung der Leistungen zunehmend restriktiv gehandhabt. Das gilt vor allem auch für die Wohnkosten. Viele Städte haben sehr beschränkte Obergrenzen der Wohnkostenübernahme durch die Sozialämter festgesetzt. Wohnungslose und andere Wohnungssuchende mit Sozialhilfe werden dadurch auf ein immer kleineres Segment des Wohnungsmarktes verwiesen.

Auch in bestehenden Mietverhältnissen werden die Hilfeempfänger gezwungen, ihre Wohnkosten zu senken. Wenn sie nicht in billigere Wohnungen umziehen, wir die Sozialhilfe empfindlich gekürzt. Es kommt zu Verdrängungsprozessen und Diskriminierungen

Sozialhilfeempfänger in Berlin

Immer mehr Berliner Wohnungsgesellschaften verlangen von Wohnungsbewerbern eine Bürgschaft oder eine Einkommensbescheinigung. Das trifft besonders Leute, die auf Sozialhilfe oder andere Formen sozialer Unterstützung angewiesen sind. Eine Mietgarantie durch das Sozialamt oder die Hinterlegung einer Kaution sind nicht mehr ausreichend. Für am Rande der Armut Lebende oder Familien niedrigsten Einkommens ist es jedoch nicht leicht, eine Bürgschaft von Freunden oder Bekannten zu bekommen. Dies macht es Sozialhilfeempfängern zunehmend schwerer, sich selbst eine eigene Wohnung zu suchen.

Selbstbestimmtes und informelles Wohnen

Informelle Siedlungen stellen in Deutschland kein Massenphänomen zu Schaffung von Wohnraum und Beseitigung von Obdachlosigkeit dar und haben somit eine andere Funktion als in ärmeren Ländern. Sie sind jedoch auch in Deutschland wichtig, um angemessenen und günstigen Wohnraum für alternative Haushaltsmodelle zur Verfügung zu stellen. Nicht nur Wohnungslose finden Unterkunft, sondern neue Lebensstile können sich entwickeln. Orientiert sich die private und öffentliche Wohnraumversorgung in Deutschland zumeist entlang standardisierter Haushaltsformen wie der Kleinfamilie oder des Singlehaushalts, so bilden sich in informellen Siedlungen oft alternative Wohnformen , die auf dem Wege zu einer nachhaltigen und gerechten Gesellschaft nötig sind. Modelle des informellen und selbstbestimmten Wohnens gibt es in vielen deutschen Städten. Beispielsweise beziehen Menschen gemeinsam ein leerstehendes Haus (InstandbesetzerInnen) oder sogenannte RollheimerInnen leben in umgebauten Bauwagen auf innerstädtischen Brachen in Gruppen zwischen 5 und 30 Wagen. Es gibt unterschiedliche Gründe für diese Menschen, auf eine solche Weise zu leben: Teilweise könne sie keine Mieten zahlen, oder verweigern dies aufgrund einer antikommerziellen Einstellung. Einige haben keinen Zugang zum sozialen Wohnungsmarkt aufgrund ihres ungesicherten Aufenthaltsstatus oder ihres Alters, oder aber sie haben sich dafür entschieden, nicht in den anonymen Sozialwohnungsbauten in der Peripherie zu leben und ziehen es vor, in ein enges soziales Netzwerk eingebunden zu sein. Viele haben zum Ziel Häuser vor dem Abriß zu bewahren und instand zu setzen. Die BewohnerInnen akzeptieren dabei technischen Substandard und minimalen Konsum, um selbstbestimmt und ressourcenschonend in einem industrialisierten Land zu leben. Im Sinne der Habitat Agenda sind solche Wohnformen zu begrüßen, da sie sowohl durch die Umnutzung von Land und Gebäuden als auch durch kollektive Nutzung der technischen Infrastruktur ressourcenschonend sind und Partizipation und eigenverantwortliches Handeln fördern. Sie schaffen Raum für neue Haushaltsformen neben der Kleinfamilie und unterstützen dadurch den Abbau der Geschlechterhierarchien.

Hausbesetzer und "Rollheimer" Informelle Siedlungen haben ihre eigene Geschichte in Berlin, doch wurden sie in den letzen zehn Jahren stark dezimiert. Nach der Wiedervereinigung und dem neuen Hauptstadtstatus Berlins wurden besetzte Häuser und Wagenplätze als anstandswidrig betrachtet und die PolitikerInnen versuchten ihre BewohnerInnen zu kriminalisieren, um die Siedlungen entfernen lassen zu können. In der Berliner Innenstadt gab es noch vor fünf Jahren 34 besetzte Häuser und elf Wagenplätze. So lebten in Berlin ca. 600 Personen in besetzten Häusern und ca. 300 als RollheimerInnen. Von den ehemals 34 besetzten Häusern sind 14 geräumt worden, fünf dieser Häuser stehen seitdem leer, einige der Häuser wurden luxusmodernisiert, 18 Häuser wurden legalisiert und teilweise in staatlich unterstützter Selbsthilfe umgebaut, wobei sie ihren gemeinschaftlichen Charakter und die niedrigen Wohnkosten nicht immer erhalten konnten. Von den elf Wagenplätzen sind nur noch sechs geduldet, ihre Situation ist immer noch prekär, da keine Legalisierung statt fand. Die RollheimerInnen wurden teilweise gezwungen, ihren Standort mehrmals zu verändern. Es wurden zwei Wagenplätze in Berlin ausgewiesen, die allerdings in der Peripherie liegen und seit langem überfüllt sind. Die Räumungen, die von der Polizei durchgeführt werden, verlaufen teilweise sehr gewaltsam, auch ohne eine vorangegangene Provokation der BewohnerInnen.

 

 

 

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Initiative Habitat in NRW

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