BERICHT

27.06.2001

Istanbul+5


Bericht von der UN-Sondergeneralversammlung

Istanbul -5

Keine Forschritte bei Siedlungskonferenz

Fünf Jahre nach Verabschiedung der Habitat Agenda auf der Weltsiedlungskonferenz in Istanbul traten die Vereinten Nationen in New York vom 6.- 8. Juni 2001 zur dreitägigen Sondersitzung "Istanbul +5" zusammen. Ziel war eine weltweite Bestandsaufnahme der Wohn- und Siedlungsprobleme sowie eine Zwischenbilanz des UN-Habitat-Prozesses, der 1976 mit der Konferenz in Vancouver begonnen hatte und 1996 in Istanbul mit dem dort beschlossenen Aktionsplan seinen vorläufigen Höhepunkt erreichte.

Der "Habitat II" Gipfel in Istanbul hatte Maßstäbe gesetzt, vor allem durch die weitreichende Einbeziehung von Kommunalverbänden und Nichtregierungsorganisationen in die Konferenzarbeit der UN. Etwa 9.000 Leute aus zivilgesellschaftlichen Gruppen hatten in Istanbul teilgenommen. Die dort beschlossene Habitat Agenda spiegelt somit Erfahrungen, Problemsichten und Entwicklungsvorstellungen eines breiten Spektrums in diesem Bereich tätiger Organisationen. Mit insgesamt 81 "commitments" verpflichteten sich die Regierungen unter anderem zu einer sozialen und nachhaltigen Siedlungspolitik, zur Sicherung des Rechts auf angemessenen Wohnraum, zur Stärkung der Kommunen sowie zur Beteiligung von zivilgesellschaftlichen Organisationen an den Entscheidungen.

Der Grundsatz einer Beteiligung der Zivilgesellschaft gilt auch für die Prozesse des Habitat-Monitorings, durch die in allen Ländern die Umsetzung der Agenda kontinuierlich überprüft werden soll. Das United Nations Centre on Human Settlements UNCHS (Habitat) in Nairobi, das federführend war bei den Vorbereitungen zu "Istanbul +5", hatte diesbezüglich sogar Richtlinien verbreitet, die in den meisten Ländern jedoch ignoriert wurden.

Bei den Vorbereitungskonferenzen im Frühjahr 2001 wurde zudem sichtbar, dass die neue US-Regierung die Position von Nichtregierungsorganisationen und Kommunalverbänden im Rahmen der UN schwächen wollte. Der Konferenzort mit dem dort herrschenden strengen UN-Protokoll war bereits eine Weichenstellung in diesem Sinn.

Zur Sondergeneralversammlung kamen keine hochrangigen Regierungsleute, keine Staatschefs und kaum ein Minister. Bei der deutschen Delegation war Staatssekretär Stather (BMZ) Verhandlungsleiter. Auf der Rio+5 Sondersitzung der UN vor vier Jahren hatte dies noch der damalige Bundesminister Klaus Töpfer übernommen. Dies zeigt, welch geringe Priorität die Regierungen derzeit dem Thema "Habitat" zuzuordnen scheinen. Auch von Seiten der NGOs kamen nur etwa 450 Leute aus etwa 250 Organisationen. Überwiegend Fachleute und international erfahrene Lobbyisten, teilweise jedoch auch Leute aus sozialen Bewegungen (CBOs). Jutta Welle vom Verein "Obdachlose machen mobil" und Klaus Teschner vom Habitat Forum Berlin vertraten das Forum Umwelt & Entwicklung.

Frauenorganisationen hatten im Vorfeld eine siebentägige "Grassroots Women International Academy" im UN-Gebäude organisiert. Diese Frauen waren der selbstbewussteste und am besten vorbereitete Teil der NGOs/CBOs, sie organisierten zahlreiche Parallelveranstaltungen. Am Tag vor Beginn der Konferenz trafen sich 76 Bürgermeister aus aller Welt ebenfalls im UN-Gebäude, darunter die Bürgermeisterinnen von Bonn und Wismar. Dies soll das größte Bürgermeistertreffen gewesen sein, das je im UN-Rahmen stattfand.

Die Stadtobersten forderten eine Stärkung der Kommunen, da die Umsetzung der Habitat Agenda schließlich auf lokaler Ebene stattfinde. Obwohl ihnen das UN-Protokoll eine marginale Rolle zuschrieb, konnten sie über ihre nationalen Delegationen beschränkt Einfluss auf die Verhandlungen nehmen. Sie bestimmten jedoch die Diskussion im "Thematic Committee", in dem 16 beispielhafte Projekte aus aller Welt zur Umsetzung der Agenda präsentiert wurden. Dieses Komitee mit seinen inhaltlichen Debatten wurde als bemerkenswerteste Neuerung im Rahmen dieser UN-Konferenz kommentiert.

Alle Veranstaltungen innerhalb des UN-Gebäude waren nur zugänglich für Leute, deren Organisation sich bei der UN hatte registrieren lassen und die als VertreterInnen schriftlich benannt waren. Dies war eine hohe Hürde für die meisten Leute aus Basisbewegungen. Die Zugangsrechte waren fein differenziert, Mitglieder der offiziellen Delegationen waren bei den Hauptversammlungen im Saal zugelassen, alle anderen durften dort nur auf den Balkon. Das Zugangs- und Rederecht auf den Parallelveranstaltungen war nicht beschränkt, jedoch durften gerade mal sechs NGO VertreterInnen je drei Minuten lang in der Plenarversammlung reden. Einige Gruppen versuchten unter diesen Bedingungen noch Einfluss auf die Abschlusserklärung zu nehmen, andere konzentrierten sich darauf, Projekte voranzubringen oder engagierten sich in den thematischen Sitzungen, um zu spezifischen Problemen inhaltlich weiterzukommen und sich besser zu vernetzen.

Istanbul +5 oder Istanbul -5?

Das Ziel einer kritischen Bilanz des seit 1976 Erreichten wurde in New York verfehlt. Zwar hatten 94 Staaten ihre Rechenschaftspflicht erfüllt und dem UNCHS in Nairobi Nationalberichte vorgelegt. Die Aussagekraft dieser Regierungsberichte ist aber meist gering. In fast allen Ländern war die Zivilgesellschaft bei der Umsetzung der Agenda und der Formulierung der Berichte nicht wie gefordert beteiligt worden.

Nicht nur die in New York anwesenden Initiativen beklagten, dass sich die Wohn- und Lebensbedingungen inzwischen vielerorts verschlechtert haben und dass bei Themen wie städtische Armut, Sicherheit vor Vertreibung, Landverbrauch, Energienutzung oder Verkehr kaum Fortschritte erzielt wurden. Auch die Berichte der UNCHS Generalsekretärin Anna Tibaijuka und des Spezialberichterstatters der UN für Wohnungsrechte, Miloon Kothari, bestätigten dieses Bild.

Etwa 1,6 Milliarden Menschen leben heute unter schlechten Wohnbedingungen, etwa 70% davon sind weiblich, etwa 30 bis 70 Millionen Kinder leben auf der Straße. Obdachlosigkeit und Wohnungsnot sind dabei nicht Probleme des Südens allein, gerade in den reichen Ländern wachsen Armut und Ausgrenzung.

Eine eingehende Diskussion der Erfolge und Versäumnisse fand aber nicht statt. So konnte auch nicht ernsthaft über Hindernisse diskutiert werden, die einer Umsetzung des Aktionsplans von Istanbul im Wege stehen. Als solche Hindernisse benannte der UNCHS Bericht den abnehmenden politischen Willen zur Änderung zunehmend schlechter Wohn- und Lebensbedingungen, unzureichende Information und Bewusstseinsbildung, das Fehlen lokaler Finanzmittel, Vereinzelung und mangelnde Verbreitung guter Ansätze sowie begrenzte Verwaltungskapazitäten vor Ort.

Stattdessen stand die Diskussion der Abschlusserklärung von New York im Mittelpunkt der UN-Sitzung, ein Text, der neue Handlungsschwerpunkte definieren sollte, der jedoch die Aussagen der Habitat Agenda in wesentlichen Punkten verwässerte. Das Recht auf angemessenen Wohnraum fand nur als "Bekräftigung des Ziels eines angemessenen Obdachs (shelter) für alle" Eingang. Dies war schon im Vorfeld von zahlreichen Organisationen als Rückschritt kritisiert worden, jedoch nicht mehr Gegenstand der Verhandlungen. Einzelne Passagen der neuen Erklärung waren dagegen in Klammern gesetzt und in den Debatten des "Committee of the Whole" heftig umstritten.

Die wirklich bedeutenden Verhandlungen fanden in informellen Sitzungen statt, zu denen nur die Regierungsdelegationen Zugang hatten. Die EU und besonders Deutschland verteidigten dort vehement den Vorschlag, ein Regierungsforum solle über internationale Leitlinien zur lokalen Selbstverwaltung entscheiden, was unter anderem von der G77 (der Gruppe der "Entwicklungsländer") und China als Einmischung in interne staatliche Strukturen abgelehnt wurde. Bei der Formulierung zum Schuldenerlass und zu Entwicklungshilfezusagen ließen sich die Industriestaaten einmal mehr nur auf einen sehr vagen Appell ein. Die Sicherung von Landbesitz und Eigentumsrechten von Frauen, ein Passus für den in Istanbul lange gekämpft worden war, wurde bei dieser Neuauflage der Diskussion erneut in Frage gestellt, vor allem von Ländern, die dadurch traditionelle Familienstrukturen bedroht sehen.

Norwegen machte sich zum Sprecher für die eindeutige Formulierung zugunsten der Frauenrechte, die EU und die USA waren in dieser Frage enttäuschend kompromissbereit und akzeptierten schließlich die Zufügung des Vorbehalts "kultureller Besonderheiten", die zu berücksichtigen seien. Schließlich wurde im Schatten des Nahostkonflikts lange um einen zusätzlichen Absatz zu "Völkern unter fremder Besatzung" gerungen. Dies hätte fast zu einer Kampfabstimmung geführt und zwang die Delegierten am letzten Tag zu einer Nachtsitzung, die erst Samstagmorgens kurz nach sechs mit einem Kompromiss endete.

Am Morgen des letzten Tags protestierten etwa 70 Leute aus teilnehmenden NGOs am Eingang zum UN Gebäude gegen Verfahren und Ergebnisse der Konferenz. Ihr Protest richtete sich gegen die Abschlusserklärung, die das Recht auf Wohnen nicht mehr ausdrücklich bekräftigt, und forderten: "Hört auf zu reden und beginnt endlich mit der Umsetzung der Habitat Agenda!" Die Protestierenden bauten ein Haus aus den zahlreich herumliegenden Konferenzdokumenten, die sie mit Tapetenkleister zusammenklebten. Die Dokumente ergaben natürlich kein brauchbares Haus, es hielt nur etwa 10 Minuten.

Viele Beobachter bezweifelten, ob die Umsetzung der Habitat Agenda in New York tatsächlich gefördert wurde. VertreterInnen der Habitat International Coalition meinten, statt Istanbul+5 sei Istanbul-5 erreicht worden. Der Ausschluss der NGOs von den Verhandlungen dieser Konferenz und die Abschwächung der Aussagen der Habitat Agenda im Haupt-Konferenzdokument stelle die Berechtigung dieser UN-Sondersitzung in Frage. Da der politische Wille zur Umsetzung der Beschlüsse von Istanbul fehle, müsse die Zivilgesellschaft jetzt ihren Druck auf die Regierungen verstärken.

Gruppen der AG Habitat des Forums Umwelt & Entwicklung arbeiten bereits seit Jahresbeginn an einem unabhängigen Habitat-Monitoring in Nordrhein-Westfalen und Berlin, bei dem die Erfahrung von lokalen Initiativen und Fachleuten zu Wohnungsproblemen und Quartiersentwicklungsfragen zusammengetragen wird. Ein Zwischenbericht ihrer Arbeit wurde in New York präsentiert. Er zeigt eine zunehmende regionale und soziale Spaltung der Wohnungsmärkte in Deutschland, Gefahren einer neuen Wohnungsnot, die Verletzung der Wohnrechte von Migranten und Flüchtlingen, ein Versagen der Klimaschutzpolitik, zunehmende Zersiedlung und Schwächung der Großstädte.

Der deutsche Nationalbericht Istanbul+5 geht auf diese Problemfelder nur unzureichend ein. Die Initiativen streben an, sich zu kontinuierlichen Diskussionsforen auf regionaler oder lokaler Ebene zu verfestigen, auf denen die aktuelle Habitat-Situation bewertet und Strategien entwickelt werden sollen.

Politische Entscheidungen in diesem Bereich sollen nicht länger ausschließlich Thema von Expertenzirkeln bleiben. Eine offizielle Unterstützung dieser zivilgesellschaftlichen Initiativen sollte im Sinne der in Istanbul vereinbarten Ziele eigentlich selbstverständlich sein, bleibt jedoch noch einzufordern.

KlausTeschner

 


Initiative Habitat in NRW

MieterInnenverein Witten

HIC Europa

(c)  Knut Unger 2001. mailto:unger@mvwit.de