Bericht Istanbul+5  

Vorläufige deutsche Arbeitsfassung

2. Wohnraum


2. Nachhaltige Wohnraumversorgung für alle

Verglichen mit der Situation in zahlreichen Ländern der Erde scheint für die Mehrheit der Menschen in Deutschland die Versorgung und Wohnraum sehr gut und sicher zu sein. Bei der Konferenz Istanbul+5 konnte die deutsche Bundesregierung erneut über ein deutliches Wachstum des Wohnraumbestandes und Qualitätsverbesserungen berichten. Jedoch wird die Wohnraumversorgung in Deutschland immer wieder von dramatischen zyklischen Krisen beeinflusst. Mehr als eine halbe Million Menschen sind wohnungslos. Es kommt zu systematischen Verletzungen des Wohnrechtes von MigrantInnen und Obdachlosen. Trotz zahlreicher Handlungsansätze verfehlt die Bundesrepublik ihre Ziele für den Klimaschutz im Wohngebäudebestand. Die soziale und regionale Spaltung der Wohnungsmärkte weitet sich zu einem strukturellen Problem aus. Und schließlich sind in den letzten Jahrzehnten zahlreiche Instrumente für steuernde Eingriffe in die sozialen Wohnungsmärkte abgeschafft oder ausgehöhlt worden ohne sichere Alternativen zu schaffen, die den Zukunftsherausforderungen gerecht werden.

Bedeutung der Habitat-Agenda

Gerade vor dem Hintergrund der langfristigen wirtschaftlichen und sozialen Trends kommt es zu wachsenden Risiken für die zukünftige Entwicklung der Wohnraumverhältnisse und die Umsetzbarkeit einer nachhaltigen Stadtentwicklung. Es kann deshalb von einer wachsenden Relevanz der in der HABITAT-AGENDA formulierten Ziele und Prinzipien auch für die Wohnraumpolitik in Deutschland ausgegangen werden.

Zwar gilt in Deutschland das in der Habitat-Agenda formulierte Recht auf Zugang zu Wohnraum und sozialer Versorgung rhetorisch als selbstverständlich und ist aus der Verfassung ableitbar. Sehr markant ist aber, dass konkrete, einforderbare Ansprüche auf eine Mindestversorgung mit Wohnraum im deutschen Rechtssystem fehlen.

Die Sicherheit der Wohnverhältnisse spielt in Deutschland zwar ständig eine zentrale Rolle bei der Gestaltung des Mietrechts. Die Stärke dieses Habitat-Konzeptes liegt aber darin, dass es auch auf andere Handlungsfelder anwendbar ist, etwa die Wohnsituation marginalisierter Gruppen, die Bedrohung der Wohnsituation durch Stadtplanungsprojekte und Umweltzerstörungen, die wachsende Unsicherheit aufgrund von Wohnraumprivatisierungen, die Unterprivilegierung der NichteigentümerInnen von Grundstücken in der Entscheidung über Planungsprojekte.

Auf die deutschen Verhältnisse übersetzt zielt das Recht auf Wohnen auf eine Strategie der nachhaltigen Wohnraumversorgung für alle. Die Bündelung und Gewichtung aller Maßnahmen trägt dazu bei, dass die Wohnsituation aller jetzigen und zukünftigen EinwohnerInnen Deutschlands eine dem Stand der gesellschaftlichen Entwicklung entsprechende Qualität aufweist. Dies gilt sowohl für den privaten Raum der Wohnung, als auch für das Wohnumfeld und Nachbarschaft und der aktiven Teilhabe an der Stadt. Dies ist Grundvoraussetzung der auch an den globalen Herausforderungen zu messenden Nachhaltigkeitstrategie in Deutschland.

Wohnraumpolitik im Paradigmenwechsel

Deutschland ringt um eine neuen Grundorientierung seiner Wohnraumpolitik. Sie wird immer weniger als ein eigenständiger Sektor und immer mehr als integrierter Bestandteil der Vermögens-, Raumordnungs- und Sozialpolitik gesehen - mit all den Zielkonflikten, die dies mit sich bringt. Erst langsam kommt in diesem Grundkonflikt um die zukünftige Ausrichtung und den Stellenwert der Wohnraumpolitik auch eine an Nachhaltigkeit orientierte Debatte auf. Innerhalb dieser Debatte konkurrieren stärker wirtschaftliberal ausgerichtete Orientierungen mit einem sich mühsam entwickelnden Verständnis von ganzheitlicher Wohnraumpolitik.

Bedingt durch die angedeuteten Krisenentwicklungen befindet sich der wohnungspolitische Diskurs in Deutschland mitten in einem Paradigmenwechsel. Die frühere Orientierung auf eine vorrangig quantitative Produktion von stark normiertem Wohnraum ist inzwischen partei- und lagerübergreifend aufgegeben. In der Wohnraumdebatte spielen soziale, ökologische und städtebauliche Qualitäten, wie beispielsweise der Wohnungsbestand, die Zielgenauigkeit der Wohnhilfen, die Orientierung auf das städtische Wohnumfeld, die Flexibilität der Instrumente und die Partizipation der BewohnerInnen eine wesentlich größere Rolle als bisher. Diese Entwicklung verdeutlicht den wachsenden Problemdruck radikal eingeschränkter finanzieller Handlungsspielräume und einer fundamentalen Krise bisheriger politischer Steuerungsinstrumente. Bei der Umsetzung muss gerade deshalb wachsam zwischen den Visionen und Modellprojekten einer sozial gerechten und nachhaltigen Stadt und der realen Entwicklung differenziert werden.

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