Istanbul+5 Bericht 

Vorläufige deutsche Arbeitsfassung

2.1 Wohnraummärkte


2.1 Entwicklung der Wohnraummärkte in Deutschland

Der Markt allein kann in Deutschland keine ausreichende, geschweige denn eine nachhaltige Wohnraumversorgung sicherstellen. Der erreichte vergleichsweise hohe Stand der Wohnraumversorgung ist das Ergebnis massiver regelnder, steuernder und fördernder Eingriffe seit der Nachkriegszeit und darüber hinaus. Dabei hat die Wohnungspolitik in der BRD nie auf einen staatlichen Wohnungsbau gesetzt, sondern immer schon versucht, Marktbedingungen herzustellen, die den gesetzten Zielen adäquat waren. Die heutigen Probleme der Wohnraumversorgung sind deshalb immer Probleme sowohl des Marktes als auch der staatlichen Zielsetzungen und Instrumente. Traditionelle Ziele und Instrumente sind in den letzten Jahren zum Teil dysfunktional geworden, weil die auf soziale und kulturelle Veränderungen, vor allem aber auf die makroökonomischen Bedingungen nicht mehr angemessen reagieren können. Diese Dysfunktionalität heißt aber nicht, dass ein freies Spiel des Marktes effizienter wäre. Derartige Thesen werden zwar vertreten, in Wirklichkeit aber ringen alle Akteure der Wohnungspolitik um eine Ausgestaltung staatlicher Eingriffe, die ihren Interessen entspricht.

Konjunkturelle Entwicklung

Die quantitative Entwicklung der Wohnraumversorgung in Deutschland seit 1996 war geprägt von einer deutlichen Überwindung des eklatanten Unterangebotes 1989 - 1994. Dazu hat nicht zuletzt das bedeutende Neubauvolumen 1990 bis 1995 beigetragen. Die Mittelschichten einschließlich der beschäftigten Arbeitnehmerhaushalte konnten seit 1995 in vielen Gebieten ihre Wohnraumversorgung wieder verbessern. Diese seit Mitte der 90er Jahre einsetzende "Entspannung" der Wohnungsmärkte ist jedoch regional und sozial sehr differenziert zu bewerten. Das Angebot für einkommensärmere Haushalte war zu keinem Zeitpunkt "entspannt".

In den letzten Jahren hat das Neubauvolumen wieder stark nachgelassen und in prosperierenden Ballungszentren mehren sich die Anzeichen einer neuen starken Mangellage. Die regionale und soziale Spaltung der Wohnraummärkte ist inzwischen nicht mehr nur konjunkturell, sondern auch strukturell bedingt. Aufgrund der politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen wird es voraussichtlich zu wachsenden und dauerhaften Problemen bei der Versorgung einkommensarmer und marginalisierter Bevölkerungsgruppen kommen.

Eine wesentliche Ursache der Versorgungskrise in der ersten Hälfte der 90er Jahre war der starke Rückgang der Bautätigkeit in den 80er Jahren, bedingt u.a. durch eine starke Reduzierung der Wohnungsbauförderung und den Verlust an Sozialwohnungen. In den alten Ländern sank die Zahl der jährlich fertiggestellten Wohnungen zwischen 1980 und 1988 um fast die Hälfte. Erst als sich dann das für die Wohnraumversorgung der vorhandenen Haushalte völlig unzureichende Wohnraumangebot in skandalösen Versorgungsproblemen und explodierenden Mieten ausdrückte, zogen Baukonjunktur und öffentliche Wohnungsbauförderung wieder an. In den alten Ländern wurde etwa 1994 mit einer halben Million Neubauwohnungen ein Höhepunkt erreicht - mehr als 250 % des Volumens von 1988. Begleitet von Warnungen vor Leerständen setzte ab 1995 eine Minderung ein. Die Fertigstellung von Wohnungen steuert nach aktuellen Prognosen 2001 wieder auf unter 250.000 Wohnungen zu. Eine kurzfristige Neubelebung ist aufgrund ungünstiger Zinsentwicklungen, stark gekürzter staatlicher Subventionen und einer sinkenden Nachfrage nach Eigentumsobjekten nicht zu erwarten.

Die Versorgungskrise 1989 bis 1994 setzte ganz eindeutig schon vor der deutschen Einigung ein. Der Rückgang der Neubautätigkeit hätte auch ohne die ab 1989 erfolgende Zuwanderung aus der ehem. DDR nicht mit dem Mehrbedarf an Wohnraum mitgehalten. Zuwanderer (sowohl aus Ostdeutschland als auch Aussiedler und Flüchtlinge) waren dann Hauptleidtragende der Versorgungskrise ab 1989 und mussten im großen Umfang provisorisch untergebracht werden. Dieses markante Phänomen vereinfachte eine verzerrte Wahrnehmung der komplexeren Faktoren der Bevölkerungsentwicklung.

Steigender Wohnflächenverbrauch und Neuverteilung

Der Trend zu kleinen Haushalten in den 80er Jahren erhöhte den Wohnungsbedarf, zumal auf den Bestandmärkten nur unzureichend kleinere Wohnungen für Single-Haushalte zur Verfügung standen. Dieser Trend ist ungebrochen. Die Zahl der Single-Haushalte nimmt weiter zu, ältere Menschen bleiben auch nach Auszug ihrer Kinder oft lange in ihren großen Wohnungen wohnen - das gilt besonders für Eigenheime.

Die Zunahme kleiner Haushalte ist neben den steigenden Wohnansprüchen der zahlungskräftigeren Schichten der entscheidende Grund für den seit Jahrzehnten steigenden Wohnflächenverbrauch der Menschen in Deutschland. Er ist der entscheidender Faktor dafür, dass auch bei schwacher Bevölkerungsentwicklung ein zusätzlicher Bedarf an Wohnraum entsteht.

Der zahlungskräftige Bevölkerungsteil realisiert seine steigenden Wohnansprüche unter allen Umständen. Auf gleichbleibebenden und unflexiblen Bestandsmärkten führt diese Situation zu einer Konkurrenz mit weniger vermögenden Nachfragern. Durch Eigentumsübergänge (Umwandlung im Bestand), Modernisierungen, das Wohnenbleiben älterer Bewohner in bestehenden großen Wohnungen verschärft sich diese Situation. Ist auf den Wohnungsmärkten dann keine Versorgungsreserve (das heißt leerstehender Wohnraum) mehr vorhanden, verstopfen die Umzugszyklen, die Mieten ziehen stark an, die Leute werden noch immobiler. Ein Teufelskreis, der 1989 explodierte und weiten Teilen der Bevölkerung vorübergehend unzureichende Wohnbedingungen bescherte.

Als es in dieser Situation zu einer verstärkten Zuwanderung kam, war die Katastrophe perfekt - mit starken sozialen Folgen für die ärmeren Bevölkerungsgruppen. An den Grundlagen dieser Mechanismen hat sich seit 1996 nichts geändert, vielmehr sind die Instrumente und finanziellen Ressourcen für eine schnelle Krisenreaktion deutlich geschwächt.

Auf eine potentielle vermehrte Einwanderung - etwa im Zuge der europäischen Osterweiterung - ist der deutsche Wohnungsmarkt auf keine Weise vorbereitet. In der von vielen für die nächsten Jahre erwarteten neuerlichen Zuspitzung der Versorgungsengpässe werden sich freilich die regionalen und sozialen Unterschiede deutlich stärker ausprägen.

Die zyklische Entwicklung der Wohnungsmärkte verlangt - wenn nicht eine antizyklische - so doch eine kontinuierliche Wohnraumpolitik. Sie könnte eine ausreichende Wohnungsversorgung besonders für die sensiblen Nachfragegruppen gewährleisten. Eine solche kontinuierliche Wohnraumpolitik ist vor allem quantitativ zur Zeit nicht zu erkennen. Zwar ergeben sich mittlerweile Optionen auf eine Wohnraumpolitik, die auf die strukturellen Probleme der Wohnungsmarktentwicklung angemessener und zielgenauer reagieren könnte, zur Umsetzung einer solchen Politik fehlen jedoch die finanziellen Mittel und wirksamen Instrumente.

Entwicklung der Wohnkosten

Mit Ausnahme des Sozialen Wohnungsbaus existiert in Deutschland ein Marktmietensystem. Die einzelnen Mieten müssen sich lediglich an den Mieten vergleichbarer Wohnungen am Markt orientieren. In diesem Rahmen gibt es - außer durch die Erhöhung des Angebotes - kaum eine Möglichkeit, die Wohnkosten zielgruppengerecht zu beeinflussen. Die genannten Tendenzen spiegeln sich deshalb vor allem auch in der Entwicklung der Mieten und Wohnkostenbelastungen wieder.

Im Zuge der Versorgungskrise 1989-1995 kam es überall in Westdeutschland zu empfindlichen Mietsteigerungen. Von 1988 bis 1995 erhöhten sich die Mieten im alten Bundesgebiet im Durchschnitt um fast ein Drittel, in Brennpunkten der Versorgungskrise fallen die Steigerungen noch deutlich höher aus. Außerdem gehen in diese Durchschnittswerte auch die Bestandsmieten ein, die deutlich niedriger liegen als die Mieten, die für eine neu angemietete Wohnung zu zahlen sind. Die Mieterhöhung in bestehenden Mietverträgen ist nämlich durch die sogenannten Kappungsgrenzen beschränkt, bei einem Neuabschluss wirken sich die Marktverhältnisse dagegen fast ungebremst aus. Während der Wohnungsversorgungskrise waren von Vermietern binnen kurzem Spitzenmieten zu erzielen, die nicht selten das Doppelte der Bestandsmieten betrugen. Dieses Preisniveau hat dazu geführt, dass das Versorgungsniveau einkommensabhängig über Jahre auseinander driftete. Viele einkommensärmere Haushalte werden von den Mietzahlungen überfordert.

Erst nach den massiven Neubauten zeichnete sich ab 1995 eine Beruhigung der Mietenentwicklung ab. Die jährlichen Steigerungsraten gingen von 3,9 % im Jahre 1995 auf 1,8 % im Jahre 1998 zurück. Außerhalb der Boom-Regionen ließen sich Spitzenmieten nicht mehr erzielen, die Leute in überteuerten Wohnungen zogen in preisgünstigere um. Die Mieten haben aber nirgendwo wieder das Niveau der 80er Jahre erreicht und liegen immer noch deutlich über dem Index der Lebenshaltungskosten.

Seit 2000 kommt es in Wachstumsregionen wieder zu einer heftigen Mietpreissteigerung. Nach Angaben des Rings Deutscher Makler Bayern stiegen die Mieten in Oberbayern im Jahre 2000 um durchschnittlich 6,3 % gegenüber dem Vorjahr, in München um 9,3 %. Hohe Steigerungen werden auch aus Köln und Frankfurt/Main gemeldet.


Mietenentwicklung in Ostdeutschland

In der DDR waren die Mieten staatlich kontrolliert und lagen weit unter dem Niveau der Kostendeckung. Im Zuge der Wiedervereinigung wurden diese Mieten an das Marktniveau herangeführt was teilweise zu Vervielfachungen der ursprünglichen Wohnkosten führte. Trotz der Abwanderungstrends zogen Mieten in den neuen Ländern auch nach 1995 noch überdurchschnittlich an, 1996 zum Beispiel um 7,5 % bei Neubauten. Erst in den letzten Jahren flacht dieser Trend deutlich ab und liegt mittlerweile unter dem westdeutschen Niveau.


Auch die Kosten für den Eigentumserwerb sind in den letzten Jahren weiter angestiegen, dabei sind die Kostensteigerungen für Baugrundstücke besonders deutlich. Im Eigentumssektor kommt es im übrigen zu noch schärferen regionalen Unterschieden, in einigen Städten gingen die Preise über mehrere Jahre zurück.

Bedeutsam für die Belastung der BewohnerInnen ist aber nicht nur die Kostenentwicklung von Nebenkosten, Stromversorgung, Energie- und Heizkosten, sondern vor allem der Anteil des Einkommens, der für die Wohnkosten aufgebracht werden muss. Dabei zeigt sich eine besonders schmerzhafte Entwicklung zu Lasten der einkommensschwachen Haushalte.

In den alten Ländern stieg die Belastung des Haushaltsnettoeinkommens durch die Kaltmiete von 1991 19.7% auf 24,7 % im Jahre 1998 und wird auf 26,4 % im Jahre 1999 geschätzt. Dabei müssen Haushalte mit einem Einkommen über 5000 Mark/Monat nur 17,2 % Wohnkostenbelastung hinnehmen, wer zwischen 1000 bis 2500 Mark verdient, muss 34,7 % seines Einkommens für die Kaltmiete aufbringen, bei der Einkommensgruppe unter 1000 Mark liegt der Anteil sogar bei 67 % (1998). Alleinerzeihende müssen in Westdeutschland 1999 31,1 %, Haushalte mit Arbeitslosen 30,4 % ihres Einkommens für die Miete aufbringen. Steigende Wohnkostenbelastungen sind ein wesentlicher Grund für Zahlungsschwierigkeiten der MieterInnen, die zu Wohnungsverlust führen können.

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