Istanbul+5 Bericht 

Vorläufige deutsche Arbeitsfassung

2.3 Regionale Entwicklungen


2.3 Regionale Entwicklungen

In den letzten Jahren waren wachsende regionale Unterschiede in der Wohnraumversorgung festzustellen. Dabei driften Regionen und Städte mit wirtschaftlichem/demographischem Wachstum und sogenannte Verliererregionen immer weiter auseinander. Dieser Trend wird am aufmerksamsten verfolgt am Verhältnis zwischen West- und Ostdeutschland.

Leerstände im Osten

In den neuen Ländern wurden nach der Vereinigung zwar unfassbare Summen in die Infrastruktur und auch die Verbesserung der Wohnraumversorgung investiert, dies konnte aber nur in wenigen Regionen den Zusammenbruch der DDR-Wirtschaft und den folgenden Bevölkerungsverlust wettmachen. Die Abwanderung vor allem jüngerer Menschen aus den von Arbeits- und Perspektivlosigkeit geprägten Städten Ostdeutschlands hat auch nach 1995 angehalten. Zusätzlich kam es zu bedeutenden Bevölkerungsverlagerungen innerhalb der neuen Länder, was wiederum mit dem starken Zuwachs an Eigenheimen zu tun hat. 1999 standen 51.000 neuen Wohnungen in Ein- und Zweifamilienhäusern 20.000 Neubauwohnungen in Mehrfamilienhäusern gegenüber.

Die Abwanderung ist am deutlichsten sichtbar in sogenannten Plattenbau-Siedlungen am Rande der Städte. Die Zahl der leerstehenden Wohnungen in den neuen Ländern wird auf 1 Million geschätzt. In der Folge können wohnungssuchende Mieter nicht selten die Preise drücken. Die betroffenen Wohnungsunternehmen aber - ohnehin schon mit der Sanierung der Wohnungen und der Leistung der Schuldendienste gefordert - sehen sich teilweise in ihrer Existenz bedroht und fordern unter anderem vom Staat subventionierte Abrisse.

Verliererregionen im Westen

Vergleichbare Verhältnisse gibt es in Westdeutschland nicht, obwohl es auch hier in Trabantenstädten erhebliche Belegungsprobleme gibt und es in altindustriellen Regionen zu deutlichen Bevölkerungsverlusten kommt. Die Neigung in diesen Regionen ansässiger großer Wohnungsunternehmen, in ihre traditionellen Bestände zu investieren, ist entsprechend gering. Im Ruhrgebiet versucht der größte deutsche Wohnungskonzern - die Viterra AG - im großen Stil Wohnungen zu verkaufen um in prosperierenden Regionen Fuß zu fassen.

Im Ruhrgebiet und anderen altindustriellen Regionen kann im Moment aber nicht von einer Wohnungsnot gesprochen werden und die verbliebenen Probleme bei der Versorgung einkommensarmer oder sozial ausgegrenzter Menschen ließen sich mit intelligenten Hilfesystemen zur Zeit weitgehend innerhalb der Wohnungsbestände lösen.

Prosperierende Ballungsräume

Den anderen Pol der regional gespaltenen Entwicklung bilden die prosperierenden Ballungszentren, vor allem München, Frankfurt/Main, Hamburg und die Rheinschiene Köln/Düsseldorf. Vor allem in München bilden sich lange Schlangen vor zu vermietenden Wohnungen, es werden horrende Abstandssummen gezahlt und die verlangten Mieten liegen teilweise doppelt so hoch wie im Ruhrgebiet oder den neuen Ländern.

Die Ursache ist das vergleichsweise gute Arbeitsplatzangebot dieser Städte für Qualifizierte und die damit einhergehende Zuwanderung. Hinzu kommt der im Vergleich zu Verliererregionen erheblich höhere Anteil von EinwohnerInnen mit guten bis hohen Einkommen. Das treibt nicht nur die Preise nach oben, es führt auch zu Umverteilungen zu Lasten der weniger Vermögenden im Wohnungsbestand.

Im Extremfall München - dort wurden sehr viele Wohnungen in Eigentum umgewandelt - hat das die Konsequenz, dass sich normal verdienende Arbeitsnehmerhaushalte die Neuanmietung einer Wohnung auf dem Markt in München nicht mehr leisten können. Immer mehr Menschen nehmen weite Wege zwischen Arbeitsplatz und Wohnort in Kauf. In Wirtschaftszentren mit einem traditionell hohen Miet- und Sozialwohnungsanteil wie Frankfurt/Main ist der Prozess der Mieterverdrängung noch weniger fortgeschritten, die Besserverdieneden sind über lange Zeit ins Umland ausgewichen. Aber auch hier herrscht ebenso wie in vielen Stadtteilen Hamburgs ein enormer Gentrifizierungsdruck.

Dass sich die Wohnungsmarktlage auch über relativ kleine Distanzen deutlich unterscheiden kann, zeigt das Beispiel NRW: Köln oder Düsseldorf mit ihren horrenden Mieten sind nur 50 bis 100 Kilometer von Städten entfernt, wo man eine Wohnung zum halben Preis bekommen kann. Die Hauptopfer der Aufwärtsentwicklung in den Wirtschaftszentren sind die Menschen, die nicht an den Einkommenszuwächsen der neuen Dienstleistungen teilhaben und das ist in fast allen der genannten Städte ein sehr bedeutender Bevölkerungsanteil. Frankfurt oder Köln haben besonders starke Probleme mit der Überwindung der Obdachlosigkeit, obwohl z.B. in Köln ein vergleichsweise beispielhaftes System der Wohnraumvermittlung existiert.

In jüngster Zeit scheinen sich die Versorgungsengpässe vor allem in München aber in einer Weise zuzuspitzen, dass die Kommunalpolitiker dort schon wieder von einer "neuen Wohnungsnot" reden.

Die strukturell gespaltenen regionalen Wohnraummärkte sind ein Ergebnis der globalen wirtschaftlichen Entwicklung, die ganze Stadtregionen abwertet, während wirtschaftliche Machtzentren eine enorme Aufwertung erfahren. Diese Verschiebungen im räumlichen Gefüge Deutschland erzeugen ungeheure Folgekosten für die Wohnungs- und Infrastrukturpolitik, aber auch für die Umwelt.

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